Im schlimmeren Falle kann es kommen, daß man mich […] in den Krieg schickt, wo ich gezwungen werde, Menschen fremder Nationalität, die mir nichts gethan haben, zu töten, wo ich verstümmelt und getötet werden kann, wo ich an einen Ort kommen kann, wie das in Sewastopol war, und wie es in jedem Kriege vorkommt, wo Leute in den Tod geschickt werden, und was das Qualvollste von allem ist, ich kann gegen meine eigenen Landsleute geschickt werden und werde meinen Bruder töten müssen um dynastischer oder mir ganz fremder Regierungsinteressen willen.
Entmutigend zeitlos erschienen im Frühjahr 2014 diese Worte Lew Tolstois, der 160 Jahre zuvor den Krimkrieg (1853-1856) in Sewastopol miterlebte und diese Zeit in seinen Sevastopoler Erzählungen verarbeitete. Rund 60 Jahre zuvor wiederum war Immanuel Kants Schrift Zum ewigen Frieden erschienen, die er mit folgenden Worten einleitete:
Zum ewigen Frieden
Ob diese satirische Überschrift auf dem Schilde jenes holländischen Gastwirths, worauf ein Kirchhof gemalt war, die Menschen überhaupt, oder besonders die Staatsoberhäupter, die des Krieges nie satt werden können, oder wohl gar nur die Philosophen gelte, die jenen süßen Traum träumen, mag dahin gestellt sein. (Immanuel Kant, 1795)
[…] fürchterlicher als der Tod, den der Krieg in der materiellen Welt aussät, ist jenes Leben, das er, fast ohne Ausnahme, im Bewusstsein aller Menschen erzeugt. (Fedor Stepun, 1916)
Die russisch-deutschen Beziehungen waren vielleicht nie ganz konfliktfrei. Erstaunt es, dass das letzte Zitat von einem russischen Neukantianer deutscher Herkunft stammt, der im Ersten Weltkrieg auf Seiten Russlands diente, nachdem er 1910 die Zeitschrift Logos (Skt. Petersburg / Tübingen) gemeinsam mit den deutschen Soziologen Max Weber und Georg Simmel gegründet hatte? Vielleicht.
Auf beiden Seiten wurde Kants ‚Traum‘ vom ewigen Frieden geträumt und von einer kriegerischen Realität immer wieder eingeholt. Doch neben den politischen Konflikten gab es seit jeher auch konstruktive Dispute und Kooperationen. Kants ewiger Friede ist uns eine ewige Aufgabe. Und nicht zuletzt waren es Philosophen oder Dichter wie F. W. J. Schelling, F. Dostojewski oder B. Pasternak, die uns durch ihren realen oder fiktionalen Dialog hoffen lassen, dass es nicht vergebens ist jenen süßen Traum zu träumen, unter jener Prämisse, die der 1790 geborene russische Philosoph und Freimaurer Sergei P. Trubezkoi formulierte:
Wir wissen und glauben in der Tiefe unseres Wesens, dass es eine Wahrheit und ein Gesetz gibt, die alle anerkennen müssen, eine Schönheit, die alle sehen müssen.
Und, möchte ich hinzufügen: einen Frieden, an den wir alle glauben wollen.