Schlagwort-Archive: Kant

Warum Japaner*innen die besseren Kantianer*innen sind

Oder: Warum ich in Japan 8 Monate schnupfenfrei war

Kürzlich lag ich mit einem fiesen Atemwegsinfekt eine ganze Weile im Bett. Da hatte ich viel Zeit nachzudenken. Viele (auch die Ärzte und Ärztinnen) fragten mich, wo ich mir das einfangen hätte. Als ob ich das wüsste. Irgendwo auf dem Weg von Berlin nach Flensburg muss ich mich angesteckt haben. Ein gewisser Verdacht fiel auf das Familienabteil des ICEs (Kinder fassen nun mal gerne alles an und niesen auch schon mal in die Gegend), wobei auch die meist schmuddelige und immer zugig-kalte RE7 eine gute Kandidatin wäre. Wer da was mit welchen Händen angefasst hat, will ich gar nicht wissen. Fakt ist: Ich weiß nicht, bei wem ich mich angesteckt habe. Nur, dass irgendein Mensch dazu beigetragen hat, es an mich weiterzugeben.

Um meinen Mann nicht anzustecken und weil es komfortabler ist, als jedes Mal ein Taschentuch vorzuhalten, wenn man mindestens drei Mal pro Minute hustet, hatte ich einen japanischen Mundschutz umgebunden (leider hatten wir davon nur noch ein paar, bevor ich auf deutsche Mundschutze umsteigen musste, die deutlich weniger bequem sind).

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Die Sendung mit der Motte

Heute: Kant erklärt mit Trump!

Dieser Blog-Eintrag ist ungewöhnlich, weil ungewöhnlich philosophisch. Aber auch das kann erstens Spaß machen und zweitens täuscht das Bild der Kantischen Philosophie. Es stimmt zwar, dass Immanuel Kant, der „Lehnstuhlphilosoph“ schlechthin, nie aus seinem Königsberg herausgekommen ist und seine komplizierte Philosophie scheint im akademischen Elfenbeinturm auch recht gut aufgehoben zu sein. Aber tatsächlich hat sogar diese trockene Philosophie eine gewisse Relevanz in der Welt da draußen. Die Sendung mit der Motte weiterlesen

Macht Bildung glücklich?

Eine meiner Studentinnen hat sich kürzlich als Titel ihrer Bachelor-Arbeit die Frage ausgedacht: Macht Bildung glücklich? Ein schöner Titel. Und ein schönes Thema (es wird um Platon gehen). Aber plötzlich begann in mir selbst die Frage zu rumoren. Macht Bildung glücklich?

Herbert Schnädelbach, ein mittlerweile pensionierter Philosoph, sagte einmal zu Beginn einer Lehrveranstaltung zur Einführung in die Philosophie: Philosophie macht nicht glücklich. Daraufhin seien einige der neuen Studierenden aufgestanden und hätten die Vorlesung verlassen.

Ja, Philosophie macht nicht glücklich. Macht Bildung glücklich? weiterlesen

Träume

Als ich einem sogenannten Tagtraum nachhänge, fällt mir das Titelthema wieder ein, das der SPIEGEL kürzlich hatte: „Nachts im Gehirn. Warum wir träumen“. Was mir einfiel war nicht der interessantere Teil über das Klarträumen (wenn wir wissen, dass wir träumen und die Handlung teilweise steuern können) und die Möglichkeiten, die das provozierte Klarträumen in der Therapie von Trauma-Opfern bietet. Nein, es war das scheinbar unwichtigere, das, was nicht ganz neu war. Die Frage, ob Träume etwas bedeuten oder nicht. Dort gebe es zwei Lager: Die einen suchen nach einem „verborgenen Sinn in Träumen, die anderen halten sie für das Nebenprodukt unwillkürlicher Hirnsignale – ein wildes Funken der Neuronen, ohne jede Bedeutung“, so der Artikel.

Dass mir genau das einfiel, passt irgendwie auf kuriose Weise gleichermaßen zum Thema des Artikels und meiner Gedanken. Ich frage mich, ob wichtig und nicht wichtig so klar zu trennen sind und was genau es bedeuten soll, dass Träume etwas bedeuten – oder auch nicht.

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Von Krieg und Frieden

Im schlimmeren Falle kann es kommen, daß man mich […] in den Krieg schickt, wo ich gezwungen werde, Menschen fremder Nationalität, die mir nichts gethan haben, zu töten, wo ich verstümmelt und getötet werden kann, wo ich an einen Ort kommen kann, wie das in Sewastopol war, und wie es in jedem Kriege vorkommt, wo Leute in den Tod geschickt werden, und was das Qualvollste von allem ist, ich kann gegen meine eigenen Landsleute geschickt werden und werde meinen Bruder töten müssen um dynastischer oder mir ganz fremder Regierungsinteressen willen.


Entmutigend zeitlos erschienen im Frühjahr 2014 diese Worte Lew Tolstois, der 160 Jahre zuvor den Krimkrieg (1853-1856) in Sewastopol miterlebte und diese Zeit in seinen Sevastopoler Erzählungen verarbeitete. Rund 60 Jahre zuvor wiederum war Immanuel Kants Schrift Zum ewigen Frieden erschienen, die er mit folgenden Worten einleitete:

Zum ewigen Frieden
Ob diese satirische Überschrift auf dem Schilde jenes holländischen Gastwirths, worauf ein Kirchhof gemalt war, die Menschen überhaupt, oder besonders die Staatsoberhäupter, die des Krieges nie satt werden können, oder wohl gar nur die Philosophen gelte, die jenen süßen Traum träumen, mag dahin gestellt sein. (Immanuel Kant, 1795)

ewigerfrieden
Zum ewigen Frieden. Ein philosophischer Entwurf von Immanuel Kant. 1796

[…] fürchterlicher als der Tod, den der Krieg in der materiellen Welt aussät, ist jenes Leben, das er, fast ohne Ausnahme, im Bewusstsein aller Menschen erzeugt. (Fedor Stepun, 1916)


Die russisch-deutschen Beziehungen waren vielleicht nie ganz konfliktfrei. Erstaunt es, dass das letzte Zitat von einem russischen Neukantianer deutscher Herkunft stammt, der im Ersten Weltkrieg auf Seiten Russlands diente, nachdem er 1910 die Zeitschrift Logos (Skt. Petersburg / Tübingen) gemeinsam mit den deutschen Soziologen Max Weber und Georg Simmel gegründet hatte? Vielleicht.

Auf beiden Seiten wurde Kants ‚Traum‘ vom ewigen Frieden geträumt und von einer kriegerischen Realität immer wieder eingeholt. Doch neben den politischen Konflikten gab es seit jeher auch konstruktive Dispute und Kooperationen. Kants ewiger Friede ist uns eine ewige Aufgabe. Und nicht zuletzt waren es Philosophen oder Dichter wie F. W. J. Schelling, F. Dostojewski oder B. Pasternak, die uns durch ihren realen oder fiktionalen Dialog hoffen lassen, dass es nicht vergebens ist jenen süßen Traum zu träumen, unter jener Prämisse, die der 1790 geborene russische Philosoph und Freimaurer Sergei P. Trubezkoi formulierte:

Wir wissen und glauben in der Tiefe unseres Wesens, dass es eine Wahrheit und ein Gesetz gibt, die alle anerkennen müssen, eine Schönheit, die alle sehen müssen.

Und, möchte ich hinzufügen: einen Frieden, an den wir alle glauben wollen.