Ja, gestern war er wieder, der Weltfrauentag. Ursprünglich auch Frauenkampftag. Daher zeige auch ich mich mal ein wenig kämpferisch. Immerhin gehöre ich zur Generation der Riot Grrrls.
Ich frage mich, was die Frauen dieser Welt so denken über den Weltfrauentag. In Russland scheint der 8. März mehr Bedeutung zu haben, was mit dem sozialistischen Ursprung zu tun haben dürfte. Eine russische Kollegin war bisher die einzige, die mir in den letzten Jahren zum Frauentag gratuliert hat. Gestern an der Arbeit war davon nichts zu spüren, ich hatte es selbst vergessen. Und das obwohl ich morgens im Fernsehen noch daran erinnert worden war. Aber dazu später.
Jedenfalls wird der Frauentag in Russland etwas ernster genommen und mit Blumen und Frühstück für die Gattin beziehungsweise Mutter begangen, zumindest laut meinem Russischlehrbuch. Anschließend darf sie dann aber trotzdem wieder alles aufräumen (ebenfalls laut meinem Russischlehrbuch). So habe ich das schöne Wort поле битвы kennengelernt. Das heißt „Schlachtfeld“. So erscheint der scheinbar so ernstgenommene Frauenfeiertag auf den zweiten Blick doch eher wie ein hohles Ritual. Oder ein politisches Feigenblatt. Eines, das die wahren Missstände verdecken soll, so wie green washing von der Umweltschädlichkeit von Firmen durch kurzfristige werbewirksame Aktionen oder Slogans ablenken soll, die Umweltfreundlichkeit suggerieren.
Nun ja, zugegeben, auch unser Muttertag ist da gar nicht so viel besser. Einmal im Jahr wird Mutti das Frühstück ans Bett gebracht, mit einem Blümchen und einem selbstgemalten Bild des jüngsten Sprösslings. Wie nett. Vielleicht ist das auch ein Grund, warum der Frauentag in Deutschland einen weit weniger hohen Stellenwert hat. Muttertag ist unser Frauentag. Der zweite hat wie erwähnt einen sozialistischen Ursprung und wird heute in Deutschland vor allem von Gewerkschaften und Feministinnen zelebriert. So sehr ich beide auch mag – sie sind jetzt nicht wirklich das, was man populär nennen könnte. Der Muttertag entstand ebenfalls in einem frauenrechtlerischen Kontext, wurde aber in Deutschland schnell von den Nazis vereinnahmt und 1933 zum öffentlichen Feiertag erklärt. Das passte gut, denn schließlich sollten die deutschen Frauen mit Mutterkreuz und eben auch ihrem eigenen Feiertag animiert werden, deutsche Soldaten zu produzieren.
Ob Muttertag oder Frauentag, beide feiern Frauen, aber wie die Frauen auszusehen haben, die dort gefeiert werden, das ist eine ganz eigene Frage. Beim Muttertag ist das offensichtlich: Eine gute Frau ist eine Mutter. Und bekommt einmal im Jahr Blümchen ans Bett gebracht. Die übrigen 364 Tage darf Mutti dafür dann wieder hinter Sprösslingen und Vati herräumen. Das ist wiederum zugegeben vielleicht kein ganz so aktuelles Bild mehr – zum Glück. Vielleicht ist das gewandelte Bild der Frau, die nicht mehr nur Mutter sein darf und muss, auch ein Grund, warum der Muttertag in meiner Wahrnehmung auch nicht mehr so präsent ist, wie in meiner Kindheit (meine Oma legt da allerdings bis heute größten Wert drauf…). Jetzt ist es in der öffentlichen Wahrnehmung neben Valentinstag, Ostern und Weihnachten nur noch einer von vielen Tagen, die der Postkarten- und Schokoladenindustrie einen etwas höheren Umsatz bescheren.
Aber wie sieht das Frauenbild des Frauentags aus? Da sich die Rituale doch sehr ähneln, ließe sich vermuten, dass vielleicht umgekehrt der russische Frauentag in Wirklichkeit ein Muttertag ist? Hat Simone de Beauvoir immer noch Recht, wenn sie bemerkt, dass die Theorie des Ewigweiblichen noch ihre Anhänger habe – „selbst in Russland“? Und was ist mit dem sozialistischen Bild der Arbeiterin? Laut meinem Russischlehrbuch durfte und darf diese zwar arbeiten gehen, muss aber trotzdem Wäsche waschen und Kinder versorgen. Interessanterweise bemerkt Beauvoir auch, dass die Frau, die für ihre bürgerlichen Rechte kämpfe, vor dem Problem stehe, zugleich wie ein Mann und wie eine Frau leben zu wollen. Für Frauen ist die Herausforderung, Familie und Karriere unter einen Hut zu kriegen doch eine besondere. Heute ist dieses Problem unter dem Stichwort Work-Life-Balance ein Thema in der Gleichstellungspolitik. Wobei Kinderkriegen und Familie dabei unter „Life“ fallen. Auch interessant. Der „Work-Life-Balance-Tee“ von Goldmännchen mit Minze und Apfel zeigt ein anderes Bild: eine Frau, die einmal im Beruf (mit Telefon), einmal beim Kochen (ist das jetzt „work“ oder „life“?) und einmal dynamisch beim Fitness-Workout gezeigt wird.
„Work“ und (Privat-)Leben scheinen überhaupt nicht klar definiert zu sein.
Und wenn wir schon nicht wissen, was wir eigentlich wollen, wie sollen wir denn dann wissen, was wir da genau feiern, wenn wir uns – Frauen – feiern (lassen)? Wofür haben sie gekämpft, die Frauenrechtlerinnen, denen wir diesen Tag letztlich verdanken? Die Suffragetten zum Beispiel, die in nicht selten kreativen, aber immer bestimmten Protestaktionen von 1903 bis 1928 für das Frauenwahlrecht und mehr Selbstbestimmung kämpften und für ihren doch großenteils friedlichen Protest Gefängnisstrafen und Hungerstreiks einschließlich Zwangsernährung auf sich nahmen. Was sie wollten war klar: das Frauenwahlrecht. Aber was wollen wir?
Spiderman sagt: Mit großer Macht kommt große Verantwortung.
Beauvoir sagt: Mit großer Freiheit kommt große Verantwortung. Nämlich die, selbst zu entscheiden, was wir sein wollen.
Als ich gestern Morgen auf ProSieben wie erwähnt mit einem Eigenwerbungstrailer an den Frauentag erinnert wurde, kam ich doch sehr ins Zweifeln darüber, ob es das ist, was ich will. Und was ich meiner Tochter wünsche würde. Und wofür die Suffragetten gekämpft haben. Marge Simpson, die weiblichen Figuren aus Big Bang Theory und anderen Comedy-Serien, Germany’s Next Topmodel – und natürlich die eigenen Moderatorinnen werden hier als „Powerfrauen“ angepriesen.
Ich muss es mir einfach nochmal ansehen. Ich finde auch prompt einen Link unter dem Titel „Weltfrauentag: Dafür kämpften unsere Vorfahren – Prosieben“. Unsere „Vorfahren“ also. Nicht einmal unsere Vorfahrinnen. So informiert denn auch die entsprechende Seite darüber, dass der erste Frauentag am 28. Februar 1909 in den USA stattfand und „diese fixe Idee von Frauenrechtlern weite Kreise zog und schließlich auch Europa erreichte“. Ja, hätten wir (europäischen) Frauen die (amerikanischen) Frauenrechtler nicht gehabt… Was hätten Klara Zetkin und Rosa Luxemburg nur ohne sie getan. Zudem fand zwar der erste Frauentag 1909 in New York statt, die erste internationale Frauenkonferenz aber bereits 1907 in Stuttgart. Gut Stuttgart hat weit weniger Sexappeal als New York. Ach nein, Moment, worum ging es doch gleich… Das vergisst man(n) schon mal während des Browsens auf den Seiten des Senders.
Neben den zwar nicht falschen, aber doch etwas willkürlich ausgewählten Daten erscheinen Werbeclips für ein „KissKit“ von Douglas und jede Menge Eigenwerbung: Clips zu Big Bang Theory oder – wie sollte es anders sein? – Germany’s Next Topmodel. Unter dem „Artikel“ finden sind dann auch folgende drei Clips, betitelt mit „Der Weltfrauentag auf Prosieben“:
- Das meinen Frauen wirklich mit diesen Sätzen
(Ich habe hier noch nie Emojis benutzt, aber ich kann einfach nicht anders:)*
- Weltfrauentag: Starke Powerfrauen am 8. März auf Prosieben (der Clip, den ich morgens im Fernsehen gesehen hatte)
3. Diese 5 Klamotten tragen Frauen nur heimlich
Tut mir Leid, aber:
Und auch die „Mädchen“ von Germany’s Next Topmodel als „Powerfrauen“ zu betiteln, das halte ich doch für gewagt. Gut, die „Modelmama“ (ist der Frauentag nun doch wieder ein Muttertag?) Heidi Klum ist nicht nur Ex-Model und (Super-)Mama, sondern präsentiert sich auch als self-made-Frau. Sie ist hier der Boss. Gut und schön, aber hätten wir Rosa Luxemburg in eine Zeitkapsel gesetzt und sie gefragt, was sie denkt, welche Rolle diese Frau habe, sie hätte wohl eine andere Bezeichnung gefunden. Zwischen Modelmama und dieser anderen „Berufsbezeichnung“, die auf –mutter endet, gibt es durchaus einige Parallelen. Beide haben zunächst Geld mit ihrem Körper verdient, der dabei meist spärlich bis unbekleidet war, und leiten nun junge Mädchen an, dasselbe zu tun. Ich behaupte gar nicht, dass das Modeln etwas Schlechtes sei, ich habe selbst oft Frauen als Modelle für Kunstprojekte fotografiert. Nein, ich behaupte, ums Modeln geht es hier gar nicht. Da stimmen mir auch Expertinnen wie Louisa von Minckwitz zu.
Die teils minderjährigen „Mädchen“ (mit langem, betontem ä) müssen sich am Strand in der Brandung rekeln (ja, sexy, sexy, sinnlich!) und sich bei ihren forcierten Zänkereien auch „nach Feierabend“ filmen lassen. Das hat wohl tatsächlich nicht viel mit der Modebranche gemein. Mal ehrlich, wie sexy und sinnlich sehen Models denn auf dem Laufsteg normalerweise aus. Nein, um seriöses Business geht es hier nicht. Sondern ums Rekeln. Denn das bringt Quote. Dann müssen die Haare dran glauben. Jedes Mal wieder. Und jedes Mal wieder folgt das große Geheule. Denn das bringt Quote. Da denkt man sich: Mensch, Mädels, ihr habt die Sendung doch selbst schon mal gesehen. Ihr wisst doch, was auf euch zukommt.
Was und wie viel inszeniert ist, das bleibt ein Geheimnis zwischen den Määädchen und den Vertragsanwält/-innen. Kein Geheimnis scheint mir aber zu sein, wie der Spannungsbogen jeder Staffel aufgebaut ist, mit den obligatorischen Schritten „Zickenkrieg“, Haargeheule, private Dramen, die ausgeschlachtet werden, (halb-)nackte Körper in unmöglichen Umgebungen, Eiswasser, Wüstenhitze, irgendwas mit Phobien, also Höhen, enge Räume oder irgendwas mit (ekligen) Tieren.
Das ist voyeuristisch. So wie alle Shows, bei denen die Teilnehmenden etwas „gewinnen“ können, vom Dschungelcamp, über Bauer sucht Frau, bis hin zu Topfmodel, wie man Mann zu sagen pflegt: „Ist noch niemandem aufgefallen, dass die Frauenfigur im Logo wie ein ‚f‘ aussieht?“ Und mehr bleibt von den Määädchen auch nicht als ein dünnes, unbedeutendes „f“. Nach einem halben Jahr erinnert sich niemand mehr an ihre Namen. Es ist die 13. Staffel der „Heidi Horror Picture Show“, wie eine Femen-Aktivistin sie betitelte. Und wie viele Namen der 12 Gewinnerinnen kennen wir noch?
Nein, dafür haben die Suffragetten nicht gekämpft.
*By Emoji One, CC BY-SA 4.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=59731724