Studierzimmer

Wie kaufe ich mir einen Doktortitel?

Ein Crash-Kurs in 10 Schritten

Den Doktortitel kaufen? Da denken wir an Personen des öffentlichen Lebens, die die harte Arbeit anderer als eigene ausgaben. Aber nein, mein Fall ist ganz anders. Erstens habe ich Philosophie studiert. Das ist nichts für pragmatische Menschen, die ihre Adelstitel aus politischem Kalkül um einen Doktortitel erweitern wollen. Da ist Jura besser geeignet. Zweitens sage ich ganz offen: Ich habe meinen Doktortitel gekauft. Noch nicht ganz, aber fast. Im Folgenden ein paar Tipps für die, die es mir nachtun möchten.

Für Außenstehende sind die meisten Vorgänge des akademischen Betriebs undurchsichtig und unverständlich. Es beginnt schon bei den Zeitdimensionen. Eine Rückmeldung auf Bewerbungen dauert schon mal drei bis sechs Monate. Und ein zugesagtes Stipendium kann manchmal erst ein Jahr nach der Bewerbung angetreten werden. Nur so als Vergleich: In der Zeit hat der Supermarkt bei mir gegenüber sein altes Gebäude abgerissen und gerade ein komplett neues hingestellt. Auch das Anfertigen von Doktorarbeiten nimmt Zeiträume in Anspruch, die für viele schwer nachvollziehbar sind. In den Geisteswissenschaften sind es theoretisch drei Jahre, tatsächlich schon mal doppelt oder dreimal so viel.

Das sind 6 bis 9 Supermärkte!

Auch schwer nachvollziehbar: Für das Schreiben selbst erhalten die meisten nichts. Wer kein Stipendium hat, muss zusätzlich arbeiten. Betonung auf zusätzlich. Ich habe hunderte Seiten trockener Sekundärliteratur in verschiedenen Sprachen gelesen. Ich habe geschrieben, bis mein rechter Arm taub wurde. Ich habe Kontakte geknüpft, mir Rat und Inspiration geholt, aber auch Kritik, meine ganze Arbeit in Stücke gehauen und neu aufgebaut. Ich habe Bücher gekauft, Forschungsreisen unternommen, kostenpflichtige Russischkurse besucht und haufenweise Druckerschwärze und Papier verbraucht.

Kurz: Ich habe viel investiert und (noch) nichts geerntet. So, als ob ich einen Baum pflanze, der weder wächst, noch Blüten oder Früchte trägt.

Ist die Arbeit nach all diesen materiellen und ideellen Opfern geschrieben, geht es erst richtig los. Promotionsordnungen müssen gelesen, Formblätter ausgefüllt und die Arbeit in dreifacher, gebundener Ausfertigung beim Prüfungsamt eingereicht werden. Nach einem halben Jahr hatte ich meine Gutachten. Einen Termin für die Verteidigung der Arbeit zu finden, dauerte nochmal ein halbes Jahr. Und diese Abstände sind keineswegs die längsten in der Geschichte der deutschen Hochschuladministration. Nein, das war schon recht zügig! Die Verteidigung machte sogar Spaß. Es wurde diskutiert, geheim beraten, verkündet und gratuliert. Mama und Papa waren stolz und ich erleichtert. „Dann bist Du jetzt Frau Doktor Pape!“ „Nein. Noch nicht.“ Verständnislose Gesichter. „Was denn dann?“ Ganz existenzialistisch antworte ich: „Nichts.“ Bereits nach Erhalt der schriftlichen Gutachten wurde ich fälschlicherweise als Doktorin eingeordnet. In Deutschland musst Du allerdings folgendes tun, um einen Doktortitel führen zu dürfen:

  • unter den oben genannten Opfern eine Arbeit zwischen 100 und 1000+ Seiten schreiben ­ *obligatorisch*
  • sie zur Begutachtung einreichen mit dem ganzen Papierkram *obligatorisch*
  • die Gutachter oder Gutachterinnen wiederholt erinnern, dass Du die Gutachten brauchst *sehr wahrscheinlich*
  • deine Thesen mündlich verteidigen *obligatorisch*
  • mit der erhaltenen Kritik die Arbeit verbessern *obligatorisch*
  • eine Druckgenehmigung vom Erstgutachter und dem Prüfungsausschussvorsitzenden (der die Arbeit höchstwahrscheinlich gar nicht kennt) einholen *obligatorisch*

(ja, diese beiden Personen müssen dir erlauben, dass Du deine Arbeit drucken darfst…)

  • den Druck organisieren:
  1. entweder im Selbstverlag (auf eigene Kosten) drucken oder die Arbeit online veröffentlichen oder
  2. einen Verlag suchen.

Je nach Verlag musst Du im zweiten Fall einen Druckkostenzuschuss zwischen 1000 und 3000 Euro zahlen. Damit deckt der Verlag einen Teil der Herstellungskosten. Diese Kosten sind gar nicht unangemessen. Zum Beispiel für den Satz, also das formale Anpassen von Seitengröße, Schriftart, Überschriftenebenen. Ich weiß das, weil ich es selbst gemacht habe, um am Druckkostenzuschuss zu sparen. Jetzt weiß ich was eine lebende Kolumne ist und wie sehr sie einen ärgern kann. In diese Arbeit floss auch noch einmal viel Substanz von mir in Form des sprichwörtlichen Blutes, Schweiß und Tränen (ich habe mich wirklich mehr als einmal am Papier geschnitten…). Da sich wissenschaftliche Bücher nicht so gut verkaufen wie Fifty shades of grey oder Martha Stuarts Einrichtungstipps ist gar kein Gewinn im eigentlichen Sinne eingeplant. Ja, Du schreibst ein Buch und zahlst für die Veröffentlichung (Druckkostenzuschuss, Blut, Schweiß, Tränen), ohne anschließend etwas aus dem Verkauf zurückzubekommen. Für die, sagen wir, rund 2000 Euro Druckkostenzuschuss erhältst Du aber Freiexemplare deines Buchs. Wenn Du Glück hast, so wie ich, erhältst Du sogar einen Teil deines Druckkostenzuschusses bezuschusst, so eine Art Stipendium. Dein (finanzielles) Soll wird etwas kleiner. Auf der Haben-Seite: ein Stapel Bücher. Die Du selbst geschrieben und gesetzt hast.

Irgendwie trägt der Baum noch immer keine Früchte.

Aber zumindest steht er noch (falls ihn niemand geklaut hat…).

Das Buch erscheint und kann theoretisch sogar gekauft werden. „Jetzt darfst Du dich aber ‚Doktor‘ nennen!“ „Nein. Noch nicht.“ Wieder verständnislose Gesichter. Nein, so einfach ist das hier nicht. Du musst erst noch (je nach Promotionsordnung) 3 bis 6 Exemplare unentgeltlich in der Hochschulschriftenstelle abgeben, mit dem dort ausgehändigten „Passierschein A 38“ zum Prüfungsamt gehen, wo hoffentlich die erwähnten Druckgenehmigungen vorliegen, und dort die Doktorurkunde beantragen lassen.

Soweit noch alles klar?

Wie gesagt, einfach ist es nicht. Man muss schon was tun für sein Geld, ähm, ich meine: für so einen Titel. Und wehe, Du hast vergessen, neben dem Datum der Verteidigung und Angabe der Fakultät auch den Namen der Gutachter und des Dekans (warum denn auch noch der Dekan?!) im Buch selbst zu erwähnen… Aber, welche Gnade, ich darf es nachträglich einkleben und muss nicht die ganzen „mindestens 150 gedruckten Exemplare“ wieder „einstampfen“, wie mir am Telefon mitgeteilt wird. Ich atme tief durch und nehme mir eine Dose Dr Pepper aus dem Kühlschrank. Wieder Glück gehabt! Oder doch nicht? „Sie haben eine Förderung aus öffentlichen Mitteln erhalten? Dann sind es 10 Exemplare.“ „10?!“ Diese Nachricht verursacht die ersten roten Flecken auf meinem Dekolleté (die bekomme ich immer, wenn ich mich aufrege). Es gab einen Beschluss. Dass der Beschluss erst zwei Monate nach dem Abschluss meiner Promotion (der Verteidigung) beschlossen wurde, spielt keine Rolle. Er gilt rückwirkend. Warum auch nicht… Mittlerweile glüht mein Ohr vom Telefonieren. „Sieh es mal so, die erwähnte ‚angemessene Zahl bei Förderung aus öffentlichen Mitteln‘ wurde damit beschränkt“, bemerkt meine Bekannte im Prüfungsbüro, „vorher hätten es ja auch 40 sein können.“ Da hat sie Recht. Aber was machen die eigentlich damit? Sie dienen der Bibliothek deiner alma mater zu „Tauschzwecken“. Es ist eine Währung. Die Du zahlen musst. „Alma mater“ ist eine Art Kosename für die eigene Universität und heißt wörtlich „nährende Mutter“. Mittlerweile habe ich die ersten roten Flecken im Gesicht. Langsam bekomme ich auch Lust, den schönen, teuren Harteinband meines Buches auszunutzen und es jemandem auf den Kopf zu hauen. Nur wem?

Meiner alma mater? Der Studienordnung? Dem System?

Ich muss dazu sagen, dass ich einen großartigen Verlag habe, der mich großzügig unterstützt. Die meisten benötigen ihre wenigen Freiexemplare für Bewerbungen. Und natürlich für Familie und Freunde. Das bedeutet: Du musst unter Umständen dein eigenes Buch kaufen und der Hochschulschriftenstelle deiner Universitätsbibliothek zur Verfügung stellen. Ohne das erhältst Du den Passierschein A 38 nicht und ohne den gibt es keine Doktorurkunde!!! Oh pardon, ich fange an zu schreien…

Ich kühle meinen mittlerweile hochroten Kopf mit der Dose Dr Pepper und denke nach. Bisher habe ich eine hohe Anzahlung geleistet, viel Zeit, Mühe und auch Geld investiert, um (wahrscheinlich) irgendwann dafür dieselben zwei kleinen Buchstaben vor meinem Namen zu erhalten wie die Dose in meiner Hand.

Insofern habe ich mir meinen Dr. (schon fast) gekauft.

Wie die Dose Cola. Die war auch nicht ganz billig. So ein Dr. kostet eben. Wenn ich sie so ansehe, scheinen mir bei ihr Aufwand und Nutzen allerdings in einem angemesseneren Verhältnis zu stehen.

Übrigens: Falls Du nicht in einem Verlag veröffentlichst, behält sich die Bibliothek vor, ungefragt Kopien deines Buches anzufertigen. Sie kann also ihr eigenes „Geld“ drucken. Auf deine Kosten. Und Du überträgst entweder einem Verlag oder der Bibliothek fast alle Rechte an deinem Buch.

Die Nichtwürdigung fremder Gedanken und fremder Arbeit durch dieses System scheint mir jene durch die anfangs erwähnten Plagiator/-innen bei weitem zu übersteigen. Plagiat kommt von plagiarius, das bedeutet „Seelenverkäufer“. Langsam habe ich das Gefühl, ich habe meine eigene Seele verkauft.

Zahlt es sich dennoch aus, eine Doktorarbeit auf legalem Wege und nach den „Regeln guter wissenschaftlicher Praxis“ anzufertigen? Ja! Denn Du hältst irgendwann dein Buch in den Händen. Und mit einem Mal sehe ich, was ich vor lauter Bürokratie und akademischem Blödsinn fast übersehen hätte: Der Baum trägt längst Früchte. Mein Baby! Die Anstrengungen der ‚Geburt‘ verblassen. Das getrübte Verhältnis zu meiner alma mater berolinensis aber bleibt bestehen…