Die Sendung mit der Motte

Heute: Kant erklärt mit Trump!

Dieser Blog-Eintrag ist ungewöhnlich, weil ungewöhnlich philosophisch. Aber auch das kann erstens Spaß machen und zweitens täuscht das Bild der Kantischen Philosophie. Es stimmt zwar, dass Immanuel Kant, der „Lehnstuhlphilosoph“ schlechthin, nie aus seinem Königsberg herausgekommen ist und seine komplizierte Philosophie scheint im akademischen Elfenbeinturm auch recht gut aufgehoben zu sein. Aber tatsächlich hat sogar diese trockene Philosophie eine gewisse Relevanz in der Welt da draußen.

Berühmt ist der Kategorische Imperativ: „Handle nur nach derjenigen Maxime, durch die du zugleich wollen kannst, dass sie ein allgemeines Gesetz werde.“

Das klingt erst einmal sehr theoretisch. Maximen oder Handlungsgrundsätze sind für Kant zunächst subjektive Gründe der Handlungen“ und die können auch schlecht sein. Ein egoistischer Mensch handelt entsprechend nach egoistischen Gründen und nutzt andere Menschen aus. Bei Anwendung des Kategorischen Imperativs auf sein eigenes Handeln könnte dieser Mensch nun feststellen, dass es auch nicht in seinem Sinne wäre, wenn diese Handlungsgrundsätze des Ausnutzens von allen angewendet würden und damit ja auch auf ihn selbst.

Dieser Gedanke taucht auch wieder in der Kritik der Urteilskraft auf. Dort nennt Kant drei Grundsätze, an denen wir unser Denken und Urteilen orientieren sollen:

  1. Selbstdenken; 2. An der Stelle jedes andern denken; 3. Jederzeit mit sich selbst einstimmig denken.

Wenn ich selbst denke, hüte ich mich davor, fremden Gedanken und Meinungen blind zu folgen. Das dürfte Trump mit seiner Angst vor fake-news eigentlich gefallen. Wenn ich dann von mir selbst absehe, mich in andere hineinversetze, kann ich diese Gedanken prüfen. Vielleicht habe ich ja etwas Wichtiges übersehen. Und wenn mir das gelingt, denke ich konsequent, das heißt eigentlich nur, dass ich anderen und vor allem aber mir selbst nicht widerspreche.

Allerdings scheint das alles nicht unbedingt das Lösungsmittel tatsächlicher sozialer oder politischer Probleme zu sein. Kant fragt aber ja an dieser Stelle auch nicht danach, was politisch-realistisch wäre, sondern was vernünftig wäre: Was ist nach den Sittengesetzen der praktischen Vernunft notwendig damit es mir und der gesamten Menschheit gut geht?

Dabei wäre es manchmal gar nicht so blöd, etwas Kantischer zu denken und zu handeln – auch in der Politik. Selbstwidersprüchlichkeit ist ja für eine Person, die öffentliche Debatten führt, eigentlich auch nicht so gut. Eigentlich. Sollte man meinen.

Wie auch immer, Kant ist jedenfalls realistischer als so mancher Politiker. Er schreibt, dass eine Welt, die „allen sittlichen Gesetzen gemäß wäre“ eine moralische Welt wäre – im Konjunktiv, wohlgemerkt. An anderer Stelle nennt er den Kategorischen Imperativ in diesem Sinne auch einen „Kompass“ für unsere Handlungen, mit dessen Hilfe ich prüfen kann, ob ich mich noch auf dem richtigen Weg befinde. Und dieser Weg ist lang und beschwerlich.

Wie sieht es nun aus mit Mister America-First? Wie ist es um seinen Kompass bestellt?

Es scheint, als könnten wir ganz generell in unserer nicht wenig ich-zentrierten Welt zumindest den ersten Grundsatz ganz gut erfüllen: selber denken. Ich denke, also bin ich. Ich denke und folge nicht den fake-news! Den Influencern aber schon. Mhhh… Aber zumindest Trump scheint auch davor gefeit. Der hört auf niemanden.

Wer sollte also die Fackel vorantragen, wenn nicht der egozentrischste Mensch der Welt. Eigentlich beschreibt „ich-zuerst“ seine Gemüts- und Geisteslage wohl noch besser als America-first. Das ist ja nicht schlecht, „an erster Stelle selber denken“, sagt auch Kant. Obwohl „selber denken“ und „an sich selbst denken“ ja nicht dasselbe sind und Trump in nur einem von beiden richtig gut ist.

Und wenn da nicht noch der zweite Grundsatz wäre…

In Wirklichkeit handelt Trump tatsächlich nicht nach dem Prinzip America-First, denn auch dafür müsste er sich in andere Menschen hineinversetzen und in auch ihrem Sinne handeln. Und da er das nicht mal bei seiner eigenen Tochter schafft, die sich zumindest bezüglich der fake-news-Debatte gegen ihren Vater gestellt hat, ist es mehr als unwahrscheinlich, dass er dazu in der Lage ist. Zumal es sich um 327.774.344 Menschen handelt, denn das ist sein Auftrag als Staatsoberhaupt, für all diese Menschen und in ihrem Sinne zu handeln. Nicht nur in seinem eigenen.

Betrachten wir einmal die letzten Entscheidungen Trumps.

Er meint, ein Handelskrieg sei einfach zu gewinnen. Um meinen Mann zu zitieren: „Ja, für China schon.“ Wie wenig Weitblick jemand hat, der meint, mit unverschämten Zöllen eine Weltmacht wie China in die Knie zu zwingen! Und dabei vergisst, dass es seinem America-First überhaupt nichts bringt, dass ich nun kein Huawei-Smartphone mehr kaufen kann, weil Android darauf dank US-Sanktionen nicht mehr laufen wird, dafür aber sein America-First, wenn das so weiter geht, keine Rohstoffe mehr aus China erhält, die man nicht nur braucht, um Smartphones bauen zu können. Ich ärgere mich nicht einmal, weil ich gar nicht die Absicht hatte, mir ein Huawei-Smartphone zu kaufen. Nicht, dass er sich mit dieser Anti-Globalisierungsstrategie keine Feinde gemacht hätte. Aber am meisten hat er sich damit doch ans eigene Bein…, nun ja.

Hätte er nur für den Bruchteil einer Sekunde versucht, Kants zweitem Grundsatz der Urteilskraft zu folgen und an der Stelle der 1.395.380.000 Chinesinnen und Chinesen zu denken, dann hätte er vielleicht gesehen, dass er mit dieser aggressiven Sandkasten-Strategie seinen 327.774.344 Amerikanerinnen und Amerikanern langfristig keinen Gefallen tut. Nicht, dass er jetzt besonders dafür bekannt wäre, im Sinne der Amerikanerinnen zu handeln. Aber das ist ein anderes Thema. Oder vielleicht auch nicht. Sometimes, size does matter. Oder hat er die zusätzliche 1 vorm Komma auf der Seite Chinas einfach übersehen? Kann ja mal passieren. Bevor ich mich jetzt aber in Überlegungen zu Penis-Vergleichen und Selbstüberschätzung verliere, ein anderes Beispiel.

Trump ist ja bekanntlich der Ansicht, dass er sein Land vor den bösen kriminellen Einwandernden beschützen müsse. Nachdem seine Pläne, sein Amerika gutbürgerlich einfach einzuhegen und eine Mauer zu bauen, auf wenig Gegenliebe auch der potenziell Eingehegten gestoßen ist, hat er nun die Paradeantwort auf alles. Geldstrafen! Auch hier. Da Mexiko es seiner Ansicht nach nicht schafft, die Flüchtlinge davon abzuhalten über die Grenze zu kommen, soll Mexiko nun finanziell abgestraft werden. Damit das ohnehin arme Land noch weniger Mittel zur Verfügung hat, die Flüchtlinge aufzufangen und zu versorgen? Und Grenzschutz kostet ja auch irgendwie Geld.

Es scheint nicht sehr wahrscheinlich, dass diese Rechnung für die USA aufgeht. Und würde Trump sich auch hier nur für den Bruchteil einer Sekunde in sein Gegenüber hineinversetzen und versuchen, an der Stelle der mexikanischen Regierung zu denken, würde er vielleicht einsehen, dass sein Plan sehr wahrscheinlich nach hinten losgeht. Warum sollte jemand, der bestraft wird, ohne selbst schuld zu sein, dem Bestrafenden in irgendeiner Weise noch helfen? Was kann denn Mexiko dafür, dass es auf dem Weg der Menschen aus Venezuela liegt, die die Not so weit treibt, in ein Land einwandern zu wollen, das sie so herzlich nicht willkommen heißt? Wäre ich Mexiko, würde ich sagen: jetzt erst recht nicht! Man könnte meinen, die nach ihm benannte Motte Neopalpa donaldtrumpi habe mehr Weitsicht.

Man stelle sich vor, Deutschland würde Italien mit Geldstrafen drohen, weil sie es nicht schafften, die Flüchtlinge davon abzuhalten, weiter nach Nordeuropa zu ziehen. Das klingt doch irgendwie recht absurd. Würde Trump an der Stelle der anderen denken, würde er vielleicht sehen, dass so etwas wie Flüchtlingshilfe und Unterstützung Mexikos eher dazu führen würde, dass er auch seine eigenen Ziele eher erreichen würde: weniger Flüchtlinge über die Grenze.

Mal ganz abgesehen davon, ob dieses Ziel gerechtfertigt ist. Trotz aller Völkerwanderungen seit Beginn der Menschheit – kein Land ist so sehr Einwanderungsland wie die USA. Und die weiß-blondschopfigen bleichen America-First-Proklamierer sind eben nicht diejenigen, die in-America-first waren. Da war doch was, so was mit Native Americans… Aber die amerikanische Geschichte beginnt für Trump wahrscheinlich nicht einmal mit der Landung Columbus‘, sondern mit Gründung der Trump-Dynastie. Alles andere sind doch fake-histories. Aber auch da war doch was… Es scheint gar nicht so, dass diese Dynastie das America-First von Anfang an mit aufgebaut hätte. So lange sind die noch gar nicht da. Angeblich reiste Trumps Großvater Friedrich bzw. Frederick, gebürtig aus der Pfalz, mit 16 Jahren als „unbegleiteter minderjähriger Flüchtling“ und ohne vorgeschriebene Auswanderungsgenehmigung nach New York aus, äh, ein. Ein Illegaler. Irgendwie übersehen. Aber kann ja mal passieren.

Ja, sowas passiert, wenn eine Person zwar (vielleicht) noch den ersten Grundsatz beherzigt, zum zweiten aber nicht mal ansatzweise fähig ist. Denn an der Stelle anderer Personen kann und / oder will Trump offensichtlich nicht denken. Selbst dann, wenn er sich dabei nur in die Lage seines eigenen Großvaters zurückversetzen müsste.

Diese Unfähigkeit passt auch ausgezeichnet dazu, dass er es nicht zum dritten Grundsatz schafft: mit sich selbst einstimmig denken. Oder reden. Oder twittern.

Aber in einem Zeitalter, in dem die Grenzen zwischen Politik und Popkultur zusehends verwischen, schadet das ironischer Weise nicht. Zumindest nicht seinem Ansehen. Seiner Politik, seinem Land und allen, die mit diesem in irgendeiner Verbindung stehen, schon. Und in der globalisierten Welt sind wir das leider alle.

Lässt sich nur hoffen, dass die Prognosen nicht stimmen und 2020 eine andere Person das Rennen macht. Vielleicht mit Elizabeth Warren oder Kamala Harris endlich doch eine Frau? Angela Merkel hat meines Erachtens hinlänglich bewiesen, dass das geht. Auch wenn wir als Nation innerhalb Europas auch nicht gerade beliebt sind (0 points vom Publikum. ZERO! Schon wieder!), es lässt sich nicht leugnen, dass sie ihren Job ganz gut macht. Oder vielleicht auch der 76-jährige Joe Biden oder auch der 77-jährige Bernie Sanders? Kant war der Ansicht, dass wir vor dem 60. Lebensjahr ohnehin nicht vernünftig werden, wie Goethe bemerkt. Werden, nicht sind, wohlgemerkt. Und bei manchem ist da eben Schopf und Malz verloren.

Da sage noch jemand, Kants Philosophie sei weltfremd!